| Kategorie: Kinderphysiotherapie

Tragetuch

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Das Tragen von Säuglingen ist ein umstrittenes und viel diskutiertes Thema. Unsere nach Bobath ausgebildeten Kindertherapeuten empfehlen schon lange das Tragen von Babys. Gerne leiten wir Eltern im Handling von Tragehilfen professionell an und unterstützen beim korrekten Binden eines Tragetuchs. Denn gerade das richtige Binden oder die richtige Wahl der Tragehilfe sind wesentlich für die entwicklungsfördernde Wirkung des Tragens. Aus physiotherapeutischer Sicht und aus Erfahrungen unserer Bobath- Kindertherapeuten fördert das Tragen des Babys die Bindung zwischen Mutter/ Vater und Kind und somit die Entwicklung der Eigenregulation des Säuglings (z.B. Schlaf- Wachrhythmus).
Desweiteren beugt regelmäßiges Tragen lagebedingten Schädelabflachungen vor, fördert die Hüftreifung und unterstützt die allgemeine motorische Entwicklung des Kindes.
Zur Untermauerung der Vorzüge des Tragens finden sie im Anschluss einen Beitrag vom Kinderarzt Dr. med. Herbert Renz- Polster, dessen Buch „Kinder verstehen. Born to be wild- wie die Evolution unsere Kinder prägt“ (Kösel Verlag 2009) sehr zu empfehlen ist, sowie einen Link vom Kinderarzt Dr. med. William Sears zum Thema.

hier der Link:http://attachment-parenting.de/?s=sears+&submit=Senden 

hier der Beitrag von Dr.med. Herbert Renz- Polster:

Tragen–ist das gut für ein Kind ?

Über die Auswirkungen des Tragens auf Gesundheit und Entwicklung
Am Thema Tragen scheiden sich die Geister. Schafft das nicht ein orthopädisches
Doppelproblem – schlecht für den Rücken des Kindes, und schlecht für den
Rücken des Erwachsenen? Und wie sieht es mit der psychischen Entwicklung aus
– ist die mit dem Tragen verbundene Nähe nicht vielleicht ein Hemmschuh?
Ein Beitrag von Herbert Renz-Polster

Schlüpfen wir zuerst einmal in die Haut der Biologen. Sie bezeichnen Menschenkinder als
„Traglinge“. Die Hüftgelenke des Säuglings seien so angelegt, dass sie in gespreizter Position
am besten ausreifen können. Wie sehr ihnen der “Hüftsitz“ in den Knochen steckt, zeigen die
Kleinen auch darin, dass sie unwillkürlich die Beinchen anziehen, wenn sie hochgehoben
werden – sie leiten so das Anhocken ein.

Menschenkinder sind Traglinge

Auch aus Sicht der Evolutionsbiologie ist das Getragen-Werden „typisch homo sapiens“: unter den ursprünglichen nomadischen Lebensbedingungen, die über 99%
der menschlichen Stammesgeschichte geprägt haben,war ein Transport von Säuglingen anders nicht möglich (Ausnahmen gab es nur in ganz wenigen Lebensräu-
men, etwa in den offenen Ebenen Nordamerikas – hier konnten Säuglinge auch auf an Stangen befestigten Brettern hinter Pferden hergezogen werden…). Erst im Mittelalter wurden Kinder in Schubkarren, zu Beginn des 19. Jahrhunderts dann in straßentauglichen Stubenwägen transportiert, die dann zu immer ausgefeilteren „Kinder-Wägen“ weiterentwickelt wurden. In der überwiegenden Mehrzahl der Kulturen aber werden Kinder noch heute von Erwachsenen oder älteren
Kindern getragen. Wie sehr das Getragen-Werden in uralten evolutionären Programmen verwurzelt ist, zeigt ein Befund der Verhaltensforschung – er lässt Eltern und Betreuer regelmäßig den Kopf schütteln: auf dem Spielplatz können die kleinen Abenteurer ihre Beinchen sehr wohl benutzen. Geht es aber an den Nachhauseweg, so werden sie plötzlich lahm und schlaff und wollen partout auf den Arm genommen werden. Dieses Verhalten ist kein Erziehungsfehler, sondern erklärt sich aus den Bedingungen, die in der Menschheitsgeschichte bis in die jüngste Vergangenheit geherrscht haben. Da wurde es für kleine Kinder immer dann gefährlich, wenn sich die Gruppe in Bewegung setzte: Wie leicht hätten die Kleinen von einem im Gebüsch lauernden Tier geschnappt werden können, wie leicht in einen Bach stolpern können? Nicht in der Gruppe geborgen und getragen zu sein bedeutete nur allzu leicht ein Rendezvous mit demTod.

Ein kultureller Pflegefehler

Vieles spricht dafür, dass das Tragen auch heute noch eine entwicklungs- und gesundheits-
fördernde Rolle spielt. Das zeigt sich etwa an dem Problem der „plattgelegenen Köpfe“.
Jeder fünfte Säugling hierzulande fällt durch einen abgeplatteten Hinterkopf auf – von
Kinderärzten auch Plagiocephalie genannt. Diese Verformungen sind durch gleichförmige
Einwirkung der Schwerkraft auf die relativ weichen Schädelknochen des Säuglings bedingt.
Dabei spielt zum einen die Positionierung im Schlaf eine Rolle (Säuglinge, die in ihrem
eigenen Bettchen schlafen, haben längere Tiefschlafphasen und lagern sich im Schlaf deshalb
deutlich seltener um als wenn sie im Nahbereich der Mutter schlafen). Zum anderen spielt –
natürlich – die Art des Transports eine Rolle. Autositz, Trageschale oder der Kinderwagen
belasten den Kopf nun einmal in die immer gleiche Richtung. Kein Wunder, dass die
lagerungsbedingten Kopfverformungen in Kulturen, die ihre Kinder tragen, nicht vorkommen
(im Gegenteil, uns fallen dort gerade die schön geformten Hinterköpfchen auf). Aus kultur-
wissenschaftlicher Sicht könnte die Epidemie der plattgelegenen Köpfe deshalb durchaus als
Ausdruck eines kulturellen Pflegefehlers bezeichnet werden.
Kinderärzte raten bei platt gelegenen Hinterköpfen übrigens als wichtigste Gegenmaßnahme
zu häufigen Lagerungswechseln – genau zu dem also, was sich automatisch einstellt, wenn ein
Kind getragen wird anstatt geschoben zu werden.

Impulse für alle Sinne

Tragen bedeutet aber nicht nur eine vielfältigere Positionierung des Köpfchens. Beim
Getragen-Werden macht das Kind auch mit dem ganzen Körper aktiv mit, benutzt seinen
Halteapparat, seinen Gleichgewichtssinn und überhaupt seine Sinne – es spürt seine Bezugs-
person, hört ihre Sprache, nimmt ihre Gefühle wahr und kann aus einem „geschützten“ Raum
heraus mit anderen Menschen in Beziehung treten. Es ist auf ganzheitliche Art „eingebun-
den“.
Für Wissenschaftler lag deshalb die Vermutung nahe, dass getragene Kinder insgesamt
weniger schreien. In einem klassischen Experiment konnten die US-amerikanischen
Kinderärzte Hunziker und Barr tatsächlich zeigen, dass getragene Säuglinge über den Tag
verteilt um 43% weniger weinen als die Säuglinge der „nicht tragenden“ Kontrollgruppe.
Dieser Effekt zeigt sich auch in Interventionsstudien an frühgeborenen Säuglingen, die
insgesamt deutlich weniger Unruhe zeigen, wenn sie regelmäßig getragen werden.

Tragen, Lernen und Bindung

Nähe erleichtert sogar das Lernen. Aber ist das denn in den ersten Wochen und Monaten
überhaupt schon ein Thema bei den Kleinen? Und wie! Denn Eltern und ihre Babys mögen
Traumpartner sein, das gemeinsame „Tanzen“ im Alltag aber müssen sie nach und nach erst
entdecken und – ja:
erlernen.
Die ersten Lebensmonate sind sozusagen eine Übungsstrecke.
Da erfahren Mutter und Kind, wie man ohne großen Aufwand, feinfühlig und niederschwellig
miteinander kommuniziert. Glückt der Tanz, so kann auf grobe Signale (wie etwa Schreien)
leichter verzichtet werden.
Tatsächlich lässt sich auch im Alltag zeigen, dass Nähe den intuitiven Austausch fördert und
die Beziehung zwischen Eltern und Kind stärkt. In einem aufwändigen wissenschaftlichen
Experiment erhielten 25 zufällig ausgewählte, sozial benachteiligte Mütter nach der Geburt
Tragesäcke. 25 andere, ebenfalls zufällig ausgewählte Mütter bekamen gepolsterte Plastik-
Liegeschalen für ihre Kleinen. Das ganze erste Lebensjahr über wurden die Kleinen regel-
mäßig auf ihren Entwicklungsstand untersucht und der Umgang von Mutter und Kind
beobachtet und ausgewertet. Dabei zeigte sich, dass die Mütter, die ihre Säuglinge trugen,
schon nach wenigen Monaten sensibler mit ihren Kindern umgingen. Nach einem Jahr wurde
bei 83% der „Tragekinder“ eine sichere Bindung zur Mutter festgestellt – also eine gute
emotionale Beziehung. Unter den Nicht-Getragenen wiesen nur 38% eine sichere Bindung
auf.

Ins Tragen hineinwachsen

Warum also halten wir dennoch den Transport in einem gefederten Bettchen auf Rädern für
den Normalfall? Ein Bettchen, von dem spätestens seit einer Untersuchung durch die Stiftung
Warentest bekannt ist, dass seine neuen Plastikteile Hunderte von Chemikalien ausdünsten,
die unter anderem das Gehirnwachstum des Babys negativ beeinflussen können? Warum
reden wir so viel über mögliche Rückenprobleme beim Tragen – und so wenig von den
stärkenden Wirkungen auf den Beckenboden, die die Rückbildung unterstützen und den
Körper straffen? Und warum macht es uns nicht stutzig, dass die Epidemie der Rücken-
probleme, die so viele Menschen hierzulande plagen, ausgerechnet in einer Generation
auftritt, die brav Wägelchen geschoben hat und im Wägelchen geschoben wurde?
Vielleicht, weil Eltern einfach auch Realisten sind. Ja, Tragen kann anstrengend sein. Wir
heutigen Menschen setzen unsere Muskeln mehr zum Sitzen ein als zum Jagen und Sammeln.
Dass uns beim Tragen oft bald schon der Rücken weh tut, ist wirklich keine Einbildung.
Genauso real allerdings ist der Rückenwind, den wir beim Tragen nutzen können – gerade
heute im modernen Leben. Zum einen: Tragen kann geübt, erlernt und, anders als etwa das
Stillen, auch delegiert werden. Gerade für Väter, die den direkten Draht mit ihrem Kind ja oft
nicht so leicht finden, ist das Tragen eine Chance. Und auch wenn die Zeiten längst vorbei
sind, in denen Mütter als Sammlerinnen 20 km am Tag wandern mussten – an uns heutigen
Menschen sind die gleichen Muskeln angelegt wie an den Menschen in der Vorzeit. Jeder
Läufer weiß, wie Muskeln wachsen können und wie schnell die Puste besser wird. Wir
können auch ins Tragen hineinwachsen. Nicht indem wir gleich Marathon laufen – eher
schon, indem wir zum Beispiel gleich mit den Leichtgewichten beginnen, die unsere Kinder
in den ersten Monaten ja sind.
Und zum zweiten gibt es für das Tragen ja auch wunderbare technische Hilfen. Das können
die neuesten ergonomisch ausgeklügelten Trage-Modelle sein, oder auch das simple und
gerade deshalb unschlagbar vielfältig zu benutzende Tragetuch. Und dazu gibt es Trage-
Beraterinnen, Trageschulen, Helfer und Helferinnen, die sich gerade darin auskennen: wie
man es auch als moderner, sesshafter Mensch schafft, ein Kind zu tragen – und dabei noch die
Hände für den Klick auf Facebook oder den Haushalt frei behält.

Weg von der Angst

Eine Vielzahl wissenschaftlicher Untersuchungen weist darauf hin, dass das Tragen von
Säuglingen nicht nur eine medizinisch unbedenkliche Form des Kindertransports ist, sondern
auch die Entwicklung des Kindes fördern und die Eltern-Kind-Kommunikation unterstützen
kann. Das muss nicht heißen, dass das Tragen jedermanns oder jederfraus Sache ist. Aber wir
sollten uns auch beim Thema Tragen keine unbegründeten Ängste einjagen lassen. Dafür ist
das Leben mit kleinen Kindern schon schwer genug.

Tragen aus kinderärztlicher Sicht

Die evolutionäre Verhaltensforschung klassifiziert Menschenkinder als „Traglinge“. Kinder viel getragen wurden, ergibt sich auch aus den ursprünglichen nomadischen Subsistenzverhältnissen, die über 99% der menschlichen Stammesgeschichte geprägt haben. Tatsächlich ist der Säugling von seiner anatomischen Ausstattung her auf den Hüftsitz „vorbereitet“ – noch heute ziehen Säuglinge unwillkürlich die Beinchen an, wenn sie hochgehoben werden und bereiten so aktiv das Anhocken der Beinchen im Hüftsitz vor. Auch im Kulturvergleich werden Säuglinge in der überwiegenden Mehrzahl der Kulturen von Erwachsenen oder älteren Kindern getragen. Beim Tragekonzept handelt es sich damit nicht um eine moderne Erfindung sondern um ein in der menschlichen Stammesgeschichte verwurzeltes Verhalten.1 Im Folgenden sei das Tragen aus kinderärztlicher Sicht beleuchtet und mögliche Vorteile des Tragens unter heutigen Bedingungen kommentiert.

Tragen und lagerungsbedingte Plagiocephalie (Schiefkopf)

Bis zu 22% der Säuglinge weisen eine lagerungsbedingte Plagiocephalie auf, also eine durch das Liegen auf dem Hinterkopf bedingte Abplattung des Schädels. Sie entsteht dadurch, dass der weiche Schädel des Säuglings von der Schwerkraft verformt wird.2 Der Schiefkopf hat durch die heute zur Vorbeugung des Plötzlichen Kindstods empfohlene Rückenlagerung in den letzten 20 Jahren deutlich zugenommen.3 Die lagerungsbedingte Plagiocephalie beschäftigt den Kinderarzt deshalb, weil die schwereren Formen sich im Erscheinungsbild mit anderen Störungen des Schädelwachstums überlappen – insbesondere mit den durch einen vorzeitigen Verschluss der Schädelnähtebedingten Craniosynostosen. Für die sichere Abrenzung ist bisweilen eine aufwändige fachärztliche und radiologische Diagnostik erforderlich. Schwerere Formen der lagerungsbedingten Plagiocephalie sind nicht nur kosmetisch störend, sie gehen nicht selten auch auch mit einer Fehlhaltung des Kopfes einher, die ihrerseits die sensomotorische Entwicklung des Kindes beeinträchtigen kann.4 Die Abplattung des Säuglingskopfes wird deshalb heute vielfach durch spezielle Lagerungshilfen, Physiotherapie sowie Kopf-Orthesen („Helme“) behandelt.1 Die lagerungsbedingte Plagiocephalie spiegelt die Einwirkung der Schwerkraft wider, die mit der Lagerung in der Horizontalen automatisch verbunden ist. Die Horizontallage ist heute die bei weitem häufigste Lagerungsform für den jungen Säugling. Sie wird nicht nur im Schlaf sondern häufig auch bei der Gesicht-zu-Gesicht-Kommunikation in den Wachphasen und insbesondere beim Säuglingstransport in Kinderwagen und Babyschale eingenommen.5 Als vorbeugende Maßnahmen gegen die Abplattung wird der häufigere Lagewechsel beim Schlafen sowie die Positionierung auf dem Bauch in den Wachphasen empfohlen.2 Dem automatisch mit einer geringen Schwerkraftbelastung des Schädels verbundenen Tragen kommt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle zur Prävention zu. In der Tat stellt das Tragen des Säuglings eine der wenigen Gelegenheiten dar, in der ein Säugling heute seine Horizontalposition verlassen kann. Dieser präventiven Rolle tragen inzwischen auch internationale Richtlinien wie etwa die vom australischen Wissenschaftsrat herausgegebenen Empfehlungen Rechnung.6

Tragen und frühe Säuglingsunruhe

Schon seit längerem ist durch wissenschaftliche Beobachtungen gut dokumentiert, dass eine verlässliche Antwort auf das Weinen eines Säuglings die Schreifrequenz insgesamt vermindert.7 Da beim Tragen eine niederschwellige Kommunikation zwischen Mutter und Kind möglich ist, vermuteten Forscher schon länger, dass getragene Babys insgesamt weniger schreien. Hunziker und Barr untersuchten diese Hypothese bei Säuglingen in den ersten 3 Lebensmonaten in einem Trage-Experiment. Tatsächlich weinten die Säuglinge der zu regelmäßigem Tragen angehaltenen Mütter über den Tag verteilt um 43% weniger als die Säuglinge der Kontrollgruppe.8 Es ist anzunehmen, dass eine geringere Schreifrequenz auch positive Auswirkungen für die Eltern hat. So ist bekannt, dass Eltern, die ihre Säuglinge nicht effektiv trösten können ein geringeres Vertrauen in die eigene elterliche Kompetenz haben. Dass getragene Babys insgesamt weniger Unruhe zeigen, zeigen inzwischen auch Interventionsstudien an frühgeborenen Säuglingen.10

Tragen und intuitive Elternkommunikation

Mit dem Tragen ist eine unmittelbare, multisensorische Wahrnehmung der kindlichen Signale verbunden: die Mütter hört nicht nur aus der Distanz, wie es ihrem Kind geht, sondern nimmt dessen emotionalen Zustand ganzheitlich wahr, etwa über dessen Bewegungen und niederschwellige Lautäußerungen. So wird Unruhe frühzeitiger erkannt, und die Kommunikation zwischen Mutter und Kind läuft effektiver ab. Tatsächlich konnte der Bindungsforscher Anisfeld in einem klassischen Experiment nachweisen, dass Tragen die elterliche Feinfühligkeit fördert und dies positive Auswirklungen auf die Bindungssicherheit der Mutter-Kind-Dyade hat:11 Die Forscher untersuchte zwei Gruppen von sozial belasteten Müttern und deren Säuglinge ab der Geburt. Die eine Gruppe erhielt gängige Kindersitze, die andere Tragesäcke, die sietäglich verwenden sollten. Das ganze erste Lebensjahr über wurden die Kinder regelmäßig untersucht und auch die Mutter-Kind-Interaktionen beobachtet und ausgewertet. Dabei zeigte sich, dass die Mütter, die ihre Säuglinge trugen, schon nach wenigen Monaten sensibler mit ihren Kindern umgingen. Nach einem Jahr wurde bei 83% der „Tragekinder“ eine sichere Bindung zur Mutter festgestellt – unter den Nicht- Getragenen wiesen nur 38% eine sichere Bindung auf. Die Rolle des Tragens bei der Förderung von Feinfühligkeit erscheint heute immer wichtiger zu werden. Immer weniger Mütter können nämlich nach der Geburt des eigenen Kindes aufVorerfahrungen im Umgang mit Babys zurückgreifen. Sie haben es damit beim Aufbau der intuitiven Kommunikation mit ihrem Säugling schwerer. Die mit dem Tragen verbundene Nähe scheint eine geeignete Lernplattform zu bieten um diesen emotionalen Kaltstart zu erleichtern.

Tragen und sensomotorische Förderung

Tragen ist mit einer multisensorischen Stimulation verbunden: das Kind. Vieles spricht damit dafür,dass das Getragen-Werden Säuglingen eine bedürfnis- und entwicklungsgerechte Umwelt bietet, in der sie automatisch und kontinuierlich eine motorische und sensorische Förderung erfahren. So wird die Tatsache, dass in kleinräumigen traditionellen Kulturen Asiens und Afrikas aufwachsende Säuglinge die motorischen Meilensteine rascher durchlaufen als ihre nach dem westlichen Pflegemodell aufwachsenden Kollegen auch auf das dort weit verbreitete Tragen zurückgeführt.12

Medizinische Bedenken?

Bei dem durch Hebammen und Trageschulen sicherzustellenden richtigen „Gebrauch“ bestehen gegen das Tragen und die Verwendung von Tragehilfen keine medizinischen Bedenken. Eine Studie der Atem- und Kreislaufregulation bei in einem Tragetuch getragenen Säuglingen ergab keine Auffälligkeiten.13 Auch aus kinderorthopädischer Sicht stellt das Getragen-Werden keinen Nachteil dar, im Gegenteil: nach den vorliegenden Studien ist bei den getragenen Kindern mit einem geringeren Risiko für eine Hüftdysplasie zu rechnen.14

Fazit

Eine Vielzahl wissenschaftlicher Untersuchungen weisen darauf hin, dass das Tragen von Säuglingen die Entwicklung des Kindes fördern und die Eltern-Kind-Kommunikation unterstützen kann. Für diejenigen Eltern, die ihre Kinder tragen wollen, sollten deshalb qualifizierte Angebote bestehen, mit Hilfe derer das Tragen erlernt und im Alltag um gesetzt werden kann.

Anmerkungen

1 Bernhard Hassenstein: Verhaltensbiologie des Kindes, 6. Aufl., Monsenstein und Vannerdat, 2007

2 Bialocerkowski AE, Vladusic SL, Choong WN. (2008) Prevalence, risk factors, and natural history of positional plagiocephaly: a systematic review. Developmental Medicine and Child Neurology 50(8):577-586.

3 Argenta LC, David LR,Wilson JA, Bell WO.: An increase in infant cranial deformity with supine sleeping position. J Craniofac Surg. 1996 Jan;7(1):5-11.

4 de Chalain TM, Park S.:Torticollis associated with positional plagiocephaly: a growing epidemic. J Cranisofac Surg.2005 May;16(3):411-8.

5 van Vlimmeren LA, van der Graff Y, Boere-Boonekamp MM, L’Hoir MP, PJM Helders, RHH Engelbert.(2007) Risk Factors for Deformational Plagiocephaly at Birth and at 7 Weeks of Age: A Prospective Cohort Study. Pediatrics 119(2): e408-e418.

6 SIDS and Kids. National Scientific Advisory Group (NSAG). 2009. Information Statement: Baby’s head shape. Melbourne, National SIDS Council of Australia. http://www.sidsandkids.org/wp-content/uploads/BabysHeadShape.pdf

7 S.M.V. Bell and M.D.S. Ainsworth , Infant crying and maternal responsiveness. Child Development 43(1972), pp. 1171–1190.

8 Hunziker UA, Barr RG.: Increased carrying reduces infant crying: a randomized controlled trial. Pediatrics. 1986 May;77(5):641-8.

9 Meijer AM,van den Wittenboer GL.: Contribution of infants‘ sleep and crying to marital relationship of first-time parent couples in the 1st year after childbirth.J Fam Psychol.2007 Mar;21(1):49-57.

10 Anderson GC. Current knowledge about skin-to-skin (kangaroo) care for preterm infants. J Perinatol1991;11:216-26

11 Anisfeld, E., Casper, V., Nozyce, M. and Cunningham, N. (1990). Does infant carrying promote attachment? Anex perimental study of the effects of increased physical contact on the development of attachment. Child Development, 61:1617–1627

12 C M Super:Environmental effects on motor development: the case of „African infant precocity“.Dev Med Child Neurol. 1976 Oct ;18 (5):561-7

13 Stening W, Nitsch P, Wassmer G,Roth B.Cardio respiratory stability of premature and term infants carried in infant slings. Pediatrics.2002; 110:879 –883

14 Hoaglund FT,Kalamchi A, Poon R, ChowSP, Yau AC.: Congenitalhip dislocation and dysplasia in Southern Chinese. Int Orthop. 1981;4(4):243-6.

Der Autor Dr. med. Herbert Renz-Polster, geb. 1960, ist Kinderarzt und Wissenschaftler am Mannheimer Institut für Public Health der Universität Heidelberg. Autor des wissenschaftlichen Sachbuchs „Kinder verstehen. Born to be wild – wie die Evolution unsere Kinder prägt“ (Kösel Verlag 2009). Es beschreibt die Entwicklung der Kinder aus dem Blickwinkel der Verhaltensforschung. Mehr auch unterwww.kinder-verstehen.de