| Kategorie: Fachtag

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Dr. Haug Schnabel Fachtag 2017

Nach wochenlanger Aufregung war es endlich so weit: die Familie macht sich gemeinsam mit ihrem noch Vorschulkind auf den Weg zur Einschulung. Für die Eltern ist klar: Wenn heute Abend alle wieder nach Hause kommen, ist das Vorschulkind plötzlich ein Erstklässer. Was genau geht aber im Kopf des Kindes vor? Warum fühlt es einerseits die Last der Zuckertüte, während es jedoch andererseits noch zu verspielt ist, um mit vermeintlich komplizierten Sätzen wie: „Jetzt geht der Ernst des Lebens los. Am Montag beginnt die Schule!“ umzugehen? Dieser Beitrag wagt einen Blick aus Kindersicht, denn kein Bildungsplan der Welt kann die sozialen Highlights der ersten Schultage jemals ersetzen.

Schulstart: Aufbau neuer Netzwerke statt ABC

Abhängig von der Lage einer Schule kennen sich die Erstklässler manchmal bereits. Vielleicht waren sie gemeinsam in der Kita oder sind Nachbarn. Andererseits gibt es zudem Schulen, die ein sehr großes Einzugsgebiet haben. Oftmals kennen sich die Kinder hier noch nicht. Betrachten wir nun die Situation, dass sich einige Kinder schon lange kennen. Beim Spielen waren die Regeln klar verteilt. Die Großen machten die Ansagen. Die mittleren hatten noch die Möglichkeit, eventuelle Vorschläge mit einfließen zu lassen. Aber die jüngsten Kinder stellten den untersten Teil des Sandwichs dar und zogen einfach mit.

Nun kommen die großen Kinder gemeinsam in einen neuen Klassenverband. Mit ziemlicher Sicherheit befindet sich die ehemalige Einheit unter mindestens zehn neuen, noch unbekannten Kindern. Jedes einzelne dieser hat bis jetzt nach anderen Spielregeln gespielt, da letztendlich in jedem „Dorf“ (Kindergruppe) andere Normen und Grundsätze herrschen.

Zugunsten eines möglichen Zusammenspiels liegt der Schwerpunkt der ersten Wochen auf der Neukonstellation der sozialen Netzwerke innerhalb des Klassenverbandes. Spielregeln müssen neu verteilt werden und neue Grenzen entstehen. Dies geschieht im Übrigen auf ähnlichem Weg in gemischtaltrigen Klassenverbänden.

Schlussendlich scheint es, dass zwar während der ersten Tage und Wochen auch ein bisschen geschrieben und gerechnet wird, doch der für die Kinder wichtigere Schwerpunkt liegt im sozialen Miteinander: Was spielen wir in der nächsten Pause? Vielleicht darf ich mal der Chef sein? Hoffentlich sind nicht wieder die Jungen alle auf dem Klettergerüst, wir Mädchen wollen auch mal allein da sein.

Was lehren die ersten Schultage wirklich?

Bereits vor dem Betreten des Schulgebäudes sind bei jeder Institution Unterschiede erkennbar. In manchen Schulen begleiten die Eltern ihren Nachwuchs fast bis zum Platz. Bei anderen wiederum betritt auch der Erstklässler das große Gebäude selbst auf der Suche nach seinem Klassenraum,

während in anderen Einrichtungen jede Lehrerin ihre Klassen gespannt vor der Schule erwartet. Ebenso unterschiedlich sind nicht nur die Methoden, sondern vielmehr die Unterrichts- und Kursschwerpunkte der ersten Wochen.

Wenn der Fokus auf einem Aufbau der Kindernetzwerke liegt, werden aus kindlicher Sicht mit großer Wahrscheinlichkeit jene Konzepte und pädagogischen Ideen punkten, die Freiraum für selbstständiges Entdecken lassen. Zudem ist anzunehmen, dass es hilfreich ist, wenn feste Ansprechpartner – Lehrer, Stammgruppenleiter, Horterzieher – stets zuverlässig in Reichweite sind.

Diese Personen dienen als sicheres Ufer für die benötigte Sicherheit in den ersten Tagen. Manchmal genügt es dabei bereits, wenn die neuen Beziehungspartner in Sichtweite sind.

Bekannt sind diese Ideen aus Eingewöhnungskonzepten in Kitas. Schließlich lässt es sich doch einem sicheren und geschützten Ambiente der sozialen Netzwerke am besten Lernen. Werden soziale Beziehungen jedoch von außen vorgegeben und zugunsten der Wissensgesellschaft als nebensächlich betrachtet, besteht die Gefahr, dass die ersten Schultage nicht lehren, sondern hoffnungsvolle Entdeckungskisten eher leeren.

Wie können Eltern die ersten Schulwochen begleiten?

Gerade während der ersten Wochen empfiehlt es sich, vielleicht doch noch mal einen Gang zurückzuschalten. Vielleicht verspüren die Kinder ein inniges Bedürfnis, über ihre neuen Erfahrungen mit bereits bekannten Kindern oder neuen Bekannten zu berichten. Eventuell wollen sie einfach nur Kuscheln oder gar ausgelassen in gewohnter Umgebung toben.

Ich selbst habe den Test gewagt. Anstatt nach dem neu Erlernten zu fragen, haben sich mit Bausteinen oder Matsch experimentierend kleine Mama-Tochter-Gespräche entwickelt. Die Gespräche umfassten Themen wie neue Freunde, neue Spiele, auch Ängste zu neuen Kinderbekanntschaften oder Erfahrungen. Aber genau darum geht es doch: Wir als Eltern bekommen auch in diesem neuen Kindernetzwerk plötzlich eine etwas andere, externe Rolle als Ansprechpartner zugeschrieben. Es liegt nun an uns Erwachsenen, diese auch zu erkennen beziehungsweise anzunehmen.

Als ich meine Tochter nach dem ersten Schultag abholte, berichtete sie mir voller Begeisterung, dass sie mit ihren neuen Freunden Frösche gesucht hat … Schön, genau dies ist doch die Basis für selbst motiviertes Lernen, oder? Was könnte der erste Schultag Besseres lehren?

Gemeinsam mit der Verhaltensbiologin Frau Dr. Gabriele Haug-Schnabel werden wir – das Rostocker Netzwerk Abenteuer Familie – im Oktober 2017 einen thematischen Elternabend zum Thema Familie und Kinderwelten anbieten. Nähere Informationen sind auf der Website www.physio-bastian.de/fachtag erhältlich.

Noreen Naranjos Velazquez

Freie Pädagogin im Netzwerk Abenteuer Familie